#10 Jeju Island: Abenteuer mit und ohne Tiefgang
Konzentriert starre ich in das ostchinesische Meer.
Shanghai liegt westlich, Taiwan weiter südlich, Japan östlich.
Und Seoul… ja Seoul liegt hinter mir!
Das alles gefällt mir schon mal sehr gut.
Was aber zur Hölle ist das hier VOR und UNTER mir?
Abtauchen ins Ungewisse: das ostchinesische Meer ruft!
20,6 Meter - da geht schon noch einiges mehr…..
Seitdem ich das Tauchen vor einigen Jahren angefangen hatte, habe ich Unterwasser wirklich schon so Einiges gesehen und erlebt - aber hierauf kann ich mir absolut keinen Reim machen.
Ich blicke auf meinen Tauchcomputer, wie eine Armbanduhr befestigt, an meinem linken Handgelenk:
Tiefe 26 Meter, Tiefe 27 Meter, Tiefe 28 Meter, Tendenz weiter sinkend.
Gleich musste Schluss sein, das ist klar.
Kühl, dunkel, trübe - und aufregend! Irgendwas merkwürdiges ist doch da unten los…
Ich schiele auch auf die bereits blinkende “No-Deco-Zeit”, die diesen Deep Dive physikalisch-medizinisch ganz klar in die Schranken weist, und die es deshalb definitiv zu respektieren gilt. Mein Computer gibt mir jetzt 4 Minuten hier auf dieser fortgeschrittenen Tiefe. Und 2 Meter gehen noch nach unten, vielleicht gibt er mir also gleich 1 Minute No-Deco-Zeit auf 30 Metern.
Das könnte man ausrechnen, aber dazu ist jetzt weder Zeit noch der richtige Moment. Denn wenn ich jetzt nichts erkennen kann in dieser trüben Brühe, dann muss ich wieder aufsteigen, sonst verletze ich die No-Deco-Zeit und damit die verbindlichen Sicherheitsbestimmungen bei diesem anstrengenden Tauchgang. Ich starre also noch angestrengter ins Nichts des ostchinesischen Meeres.
Denn das schnarrende Geräusch wird immer lauter.
Und es kommt auf mich zu!
Hier unten ist das trübe Wasser nicht nur kühl, was ich trotz meines 5mm dicken Neoprenanzugs spüre, sondern auch etwas düster. Wir tauchen im Strömungsschatten der Mond-Insel, die vor Jejus Küste liegt, aber eben leider auch in deren Lichtschatten. Etwas dämmerige Sache also, aber egal. Es ist ja deshalb auch atmosphärisch wertvoll - und passt irgendwie zu dieser mysteriösen Situation.
Ein Piepton ertönt. 30 Meter.
Mein Tauchcomputer sagt STOPP!
Ein letzter Blick ins endlose Blaugraugrün. Und tatsächlich, dann passierte es:
Aus dem diffusen Nichts zeichnen sich Konturen ab.
Eines riesigen Objekt kommt auf mich zu.
Es ist ein…. ein U-Boot?!?
Ich fasse es nicht!
Es ist monströs - 20 oder 25 Meter Länge, also wie ein Reisebus, nein, eher wie ein ausgewachsener Schwertransporter!
Es brummt nun auch sehr laut - das ist der Antrieb - und dazu höre ich, wie sich die Ruder mit einem helleren “wwwwwwt, wwwwwwt” bewegen. Am Torso erkenne ich eine Südkorea-Flagge und plötzlich flammt ein Unterwasserscheinwerfer am Heck auf, der mich direkt anleuchtet. Wie absurd ist das denn?
Ich bin verwirrt: Geraden eben noch spielte ich weiter oben zwischen pinken Weichkorallen verträumt mit einem lieblichen Schwarm Blaustreifen-Samtkaiserfischen - und jetzt das!
Ein U-Boot fotobombt meinen Tauchgang im ostchinesischen Meer!
Immerhin ist es kein Nordkoreanisches, denke ich mir noch, bevor ich kurz überlege, ob es mir mental noch ganz gut geht. Denn da muss man bei solchen Tiefen doch etwas aufpassen... Und schon wird das Brummen wieder etwas leiser. Das U-Boot zieht vorbei und verschwindet in der trüben Brühe - als wäre das alles eben gerade niemals passiert.
Mit Zeichensprache fragt mich mein Tauchbuddy, ob alles OK ist, und ich gebe das Signal zurück: “Alles Ok!”
Ein Handzeichen für "Alles absurd!" will mir spontan nicht einfallen.
Etwas absurd ist dann auch die Art und Weise, wie nach dem Tauchgang in das Boot zurück geklettert wird. Normalerweise ist das ein etwas anstrengendes - und unter Umständen auch etwas gefährliches - Unterfangen, je nach Wellengang, Größe des Tauchboots und Erfahrung der Tauchbuddies. Man ist erschöpft, hat das ganze Equipment am Hals und die Wellen drücken einen gegen das Boot.
Hier aber, in Südkorea, ist alles ganz einfach: Unser Tauchboot hat einen hydraulischen Lift, der einen mitsamt der Ausrüstung automatisch hochfährt. Das habe ich bei meinen weltweiten Tauchabenteuern so noch nirgends erlebt. Premium!
Mein Tauchcomputer ist zufrieden mit mir - keine Beschwerde aufgrund des tiefen Tauchgangs - und so sitze ich jetzt, kurze Zeit später, im kleinen Hafen von Seogwipo, lasse mich von der Morgensonne aufwärmen und denke über diese Unterwasser-Begegnung nach.
Das Englisch meiner südkoreanischen Taucher-Crew ist quasi nicht vorhanden, aber natürlich immernoch um einiges besser als mein Koreanisch.
Unter Wasser funktioniert alles aufgrund der internationalen Taucher-Zeichensprache problemlos und auch an Land können wir uns einigermaßen verständigen.
Natürlich ist das U-Boot unser Thema. Wie ich lerne, ist es kein militärisches, sondern ein kommerzielles, mit dem man Tauchfahrten unternehmen kann. Ich stelle mir die Gäste vor, die mich durch Bullaugen im Scheinwerferlicht gesehen haben mussten, ein Taucher, mitten im Nirgendwo - wahrscheinlich waren sie ebenso überrascht wie ich.
Tauchen auf Jeju Island - überraschend anders!
Von meinen insgesamt vier Tauchgängen auf Jeju ist das hier nicht der schönste, aber sicher der verrückteste gewesen. Ansonsten sehe ich unter Wasser viele Weichkorallen - und zwar in beeindruckender Menge.
Weichkorallen - Wikipedia sagt, "sie wachsen verzweigt, baumförmig, lappig, krustig oder fingerförmig."
Ich bin mir sicher, dass ich hier alle Versionen gesehen habe.
Und zwar in unterschiedlichsten Farben: Violett, blau, rosa, rot, grün - und in großen Mengen auch orange und quietschgelb. Die gelben Weichkorallen sind mir bisher noch nie in solch einer Masse begegnet. Sie bilden vor Jeju riesige Teppiche und bewachsen die meterhohen Steilhänge und Felsformationen. Sie sind wunderschön und ich könnte stundenlang Fotos machen.
Ab und zu finde ich bei den Tauchgängen auch Anglerfische (Frog Fish), passend zur farblichen Umgebung ebenfalls in quietschgelb gekleidet. Angeln sehe ich sie zwar leider nicht, aber man braucht ja auch noch Ziele im Leben…
Frog Fish, passend zur Unterwasserwelt von Jeju in knalligen Farben.
Die Tauchgänge vor Seogwipo sind alle schön, relativ strömungsreich, und sehr bunt - und in Bezug auf meine Reiseerlebnisse in Südkorea stehen sie deshalb auch ein stückweit in Kontrast zu meiner etwas grauen Zeit in Seoul. Doch die Farbe Grau ist jetzt glücklicherweise kein Thema mehr.
Vor ein paar Tagen war ich dem Smog Seouls entkommen und nach kurzem Flug auf dem Flughafen CJU gelandet.
Willkommen auf Jeju - UNESCO Weltkulturerbe.
Der Linienbus 181 brachte mich einmal quer über die Insel an die Südküste. Das hatte nur etwa eine Stunde gedauert, war günstig und easy. Und landschaftlich interessant.
Denn die Inselmitte mit dem fast 2.000 Meter hohen erloschenen Vulkan Hallasan - den höchsten Berg Südkoreas - ist reizvoll. Wenn auch stets wolkenverhangen, mein Bus fuhr durch strömenden Regen. Die Küsten aber sind komplett sonnig. Manchmal könnte ich meinen, ich bin hier auf den kanarischen Inseln. Überall findet man schwarzes Lavagestein, Mandarinenbäume tragen Früchte. Ich guckte aus dem Fenster des Busses und musste mehr als einmal an Teneriffa denken und den Teide.
Vom Airport geht’s mit dem Linienbus an die Südküste, nach Seogwipo.
Schließlich komme ich in Seogwipo an, der größten Stadt an der Südküste. Ich checke in MEINEM Hotel ein und niemals machte dieser Satz mehr Sinn für mich, denn mein Hotel ist das Hotel “Pino”. Sehr sympathisch denke ich mir, und buche es. Mal sehen, was ich so kann als Hotel. Zugegeben, ich sehe als Gasthaus etwas ranzig aus, aber gut, die inneren Werte zählen ja glücklicherweise, auch bei einer Unterkunft. Und nach sechs Wochen Leben aus dem Backpack bin ich auch etwas ranzig - also passt das so wohl, mit dem Hotel Pino.
Nach dem Checkin mache ich mich auf um die Stadt fußläufig zu erkunden und stelle fest, dass Seogwipol erstens relativ bergig und zweitens irgendwie eine witzige Kombination ist - eine schräge Mischung aus vielen Stilen und Eindrücken.
Manchmal fühle ich mich hier an Kalifornien erinnert, wegen den palmengesäumten Alleen in gepflegten Vorstadtgebieten mit akkurat geschnittenem Rasen. Dann kommt allerdings recht schnell rustikales Fischerei- und Industriehafen-Flair dazu. Manchmal wirkt alles auch wie ein südeuropäisches Agrargebiet mit vielen Gewächshäusern, dann doch eher wie eine asiatische Stadt mit moderner Infrastruktur und Supermärkten, die 24 Stunden geöffnet sind. Dann watscheln plötzlich mitten im Stadtzentrum ein paar Taucher in voller Montur über den Zebrastreifen - und niemand wundert sich.
Es gibt natürlich auch schicke Hotels, daneben stehen allerdings Gebäude leer, Lost Places, und versprühen etwas morbiden Charme. Plötzlich wandere ich durch eine gepflegte Parkanlage, ältere und gut gekleidete Damen spielen hier eine Art Senioren-Golf. Dann fühle ich mich plötzlich wie in Indonesien an einem rauschenden Wasserfall, nur dass der beeindruckende Cheonjiyeon Fall hier nicht irgendwo im Jungel prasselt, sondern mitten in der Stadt liegt. Und es neben ihm auch noch einige andere Wasserfälle und Kaskaden in der Stadt gibt.
Schöner Cheonjiyeon Wasserfall in Seogwipo - mitten in der Stadt.
All diese beschriebenen Facetten sind in Seogwipo komprimiert auf nur wenigen Metern zu finden. Diese Küstenstadt ist nicht so wahnsinnig groß, aber irgendwie verrückt und die Natur drum herum ist es ebenfalls. Über- wie unterwasser.
Ich bleibe eine Woche hier und wenn ich nicht tauche, erkunde ich die Stadt oder wandere durch die nahen Küstenwälder. Eine schräge Mischung aus Pinien, Palmen und Gummibaum-ähnlichen Gewächsen. Die Küste aus dunklem Vulkangestein ist rau und bietet zahlreiche Fotomotive mit ihren schroffen Klippen - richtig schick!
Die Klippen beherbergen auch eine Reihe von Höhlen, die im zweiten Weltkrieg eine Rolle gespielt haben, zumindest eine passive. Diese riesigen Röhren im Fels wurden damals von den Japanern angelegt, um in ihnen Torpedoboote zu verstecken, die bei einem Angriff der Amerikaner auf die Insel eingesetzt werden würden. Japaner waren damals immerhin 75.000 auf Jeju und ihre Aufgabe war es die Insel in eine Festung zu verwandeln. Das scheint ihnen gelungen zu sein, denn angegriffen wurde Jeju im zweiten Weltkrieg nicht. Und die Höhlen sind heute ein Zeitzeugnis.
Japanische Kamikaze-Torpedoboot-Höhlen, Südküste von Jeju - ein WW2-Relikt.
Als es nach einem langen Tag an der Küste Zeit wird mein Dinner zu suchen, muss ich feststellen, dass Feiertag ist und eine Herausforderung ein offenes Restaurant zu finden. Nach längerem Hin-und-her bin ich schließlich erfolgreich, doch es kommt zum Eklat: Man will mich nicht.
Es ist keinesfalls ein schickes Restaurant, sondern ein offenes Straßenrestaurant für (koreanische) Touristen. Ich bin anständig gekleidet und voll ist es auch nicht, die allermeisten Tische sind frei. Aber es gibt irgendein Problem.
Mein Magen knurrt, aber mir wird erklärt, dass man hier nur zu zweit bestellen und essen kann, weil alle Gerichte nur für zwei Personen sind, und nein, eine halbe Portion gibt’s nicht und nein, einen Snack bestellen, geht auch nicht und nein, nur Beilagen gehen auch nicht und nein, nein, nein, alternativ dann auch nur ein Getränk zu bestellen - das geht auch nicht: “Das ist hier nicht so ein Ort.”
Konsterniert frage ich, ob gewünscht wird, dass ich das Restaurant verlasse.
Die Antwort ist kurz und deutlich: “Ja.”
Ist mir so noch nie in meinem Leben passiert, ich denke mir meinen Teil, und finde schließlich ein anderes Restaurant - und entdecke hier einen "Alten Wurstpfannkuchen" auf der Karte. Ich bin mir sicher, dass meine Übersetzungs-App hier mal wieder Quatsch gemacht hat. Das klingt so absurd, dass ich das dann aber ordere - und leider feststellen muss, dass es tatsächlich so schmeckt wie es sich anhört und die App wahrscheinlich korrekt übersetzt hatte. Nun ja.
“Alter Wurstpfannkuchen” - Gelacht, bestellt, gegessen.
Aber selbstverständlich gibt es in Südkorea auch richtige kulinarische Highlights, denn die lokale Küche ist vielfältig. Selten weiß ich zwar genau was ich bestelle, aber meistens schmeckt es absolut klasse, zum Beispiel Budae Jjigae, der koreanische Feuertopf - und abgefahrene Säfte, Tees und andere Getränke gibt es auch zur Genüge.
Am letzten Tag auf Jeju Island möchte ich dann noch die Haenyeo besuchen, die hoch betagten und berüchtigten Taucherinnen, die hier im Meer ihrer Arbeit nachgehen und ohne Tauchausrüstung Meeresfrüchte ertauchen. Beispielsweise Muscheln, Seeigel und Seeohren.
Leider wird heute nicht getaucht, aber ihre Geschichte möchte ich trotzdem kurz erzählen, weil sie zur Identität der Insel Jeju einfach gehört:
Traditionell tauchen die Haenyeo, die Frauen, da ihre Männer früher auf See häufig umkamen und sie so für die Familie das Geld verdienen mussten. Das hatte über die Jahre die Gesellschaft auf Jeju zu einer matriarchaischen gemacht, die Frauen verdienten das Geld und hatten das Sagen - und so ist es vielleicht heute noch.
Also ja, Jeju hat einiges zu bieten - und ja, es taugt mir, und ja, es versöhnt mich mit Südkorea.
Die Kühle der Menschen hat mich schon sehr beschäftigt (siehe Reiseblog #09 Seoul) und auch die schöne Zeit in Jeju kann nicht ganz versöhnen.
Auch in Jeju wird wenig gelächelt und ich fühle mich eher als Fremdkörper denn als Gast.
Mein nächstes Ziel ist nun Japan - und darauf freue ich mich sehr!
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Abspann zu Südkorea:
Nach kurzem Flug stehe ich bei der geordneten Immigration in Tokio. Und da wird mir plötzlich alles klar mit Südkorea. Alles.
Denn mein Blick fällt auf das Schild, das die ankommenden Passagiere bei der Passkontrolle in zwei Gruppen teilt, wie weltweit, auf jedem internationalen Flughafen.
In Tokio sieht das so aus:
Pfeil nach links: Japanese
Pfeil nach rechts: Visitors
Bei dir, mein kurioses Südkorea, stand bei meiner Ankunft am Seoul-Flughafen folgendes:
Pfeil nach links: Korean
Pfeil nach rechts: Foreigners
Okay - ich denke, plakativer kann nicht auf den Punkt gebracht werden, warum wir beide nie eine echte Chance hatten, du und ich. Obwohl ich es so sehr wollte! Nein, liebes Südkorea, das wird wohl nichts mit uns.
Lass uns Freunde bleiben.
Wenn du magst.
Vielleicht ist es aber auch besser, wenn du dein Ding machst. Und ich mache meins.
Ich bin gespannt ob wir uns jemals wieder sehen werden. Und wenn, dann liegt's sicherlich an Jeju und den wunderschönen Weichkorallen.